Die Prager Fasnacht nahm ihren Anfang auf der Münsterfähre in Basel. Wir haben näher hingeschaut. Aus Respekt vor den Kollegen in Prag, wird dieser Artikel auch in tschechischer Sprache erscheinen…
Prolog
Ab sofort habe ich Mitleid mit den JournalistInnen, die jährlich von ihren Redaktionsleitenden an die Basler Fasnacht geschickt werden: «Mach einen Text, maximal 3000 Worte und ein paar geile Bilder!». Und dann stehen sie dann, sehen die ganze Basler Pracht und … haben keine Ahnung! Und wenn sie dann jemanden finden, z.B. eine Baslerin, die versucht, ihnen die Fasnacht zu erklären, dann kommen wir wieder zu dem gängigen Beispiel: WIE BRINGT MAN EINER KUH DAS GEIGESPIELEN BEI? – Ich habe hier in Prag stundenlang gelesen und zugehört. Und versuche das möglichst pragmatisch zu übermitteln…
Die Entstehung
Es war der Fährimaa!
Eine tschechische Stadtführerin und Religionswissenschaftlerin – Olga – wurde von einem ihrer Gäste in die Schweiz eingeladen und besuchte zu diesem Anlass die Stadt Basel. Etwas gelangweilt hat sie beim Bäcker ein Brot gekauft und sich neben die Münsterfähre hingesetzt, um die Möwen zu füttern. Der Fährimaa Jacques Thurneysen erbarmte sich ihrer und sie durfte den ganzen Tag auf der Fähri verbringen und der Fährimaa erzählte ihr dann auch von der Fasnacht. Olga wurde dann 2011 zum Morgestraich eingeladen und bei diesem 4i-Schlag wurde sie von der Pracht, der Gewalt und der Schönheit der Basler Fasnacht beinahe erschlagen.
Zurück in Prag war sie von der Idee fasziniert, dass man, maskiert und mit Musik und Sujet, seinen Unmut gegen ein Ereignis des vergangenen Jahres ausdrücken kann. Und sie beschloss, dies auch in Prag zu machen. Da es dort keine «Fasnachtscliquen» gab, wandte sie sich an KünstlerInnen der Stadt und an NGOs (z.B. Greenpeace), Schulen und andere Organisationen – und das Konzept der Prager Fasnacht war geboren: Die Gruppen gaben das «Sujet» vor und die KünstlerInnen setzten es um.
Schon 2012 – ein Jahr nach Olgas Erleuchtung in Basel – wurde die erste Prager Fasnacht durchgeführt. Und zwar am 17.11. – dem Gedenktag der Studentenunruhen in Prag. Am 17.11.1989 wurde ein friedlicher Demonstrationszug der Prager Studenten von der kommunistischen Regierung niedergerungen. Das war der Beginn der «samtenen Revolution», die letztlich in die Demokratie führte. Und dem OK der Prager Fasnacht schien es richtig, diesen Tag auszuwählen, damit man auch mal der «Demokratie» mit Satire und Schalk an den Karren fahren darf. Ob das Datum allerdings eine schlaue Wahl war, sei dahingestellt. Die Stadt sieht an diesem Tag aus, als fänden die Herbstmesse und die 1. Mai-Feier gleichzeitig am Fasnachts-Dienstag statt! Viele der potentiellen Teilnehmer (NGOs) der Prager Fasnacht haben bereits einen eigenen Stand in der Stadt um ihre Anliegen kund zu tun. Und ein kleiner Haufen kostümierter Figuren fällt an diesem Tag nicht sonderlich auf.
Die Durchführung – also: Die Fasnacht
Bis zum Vorabend des 17.11. werden Kostüme und Requisiten gebaut. Mit viel Kreativität und ganz viel Satire. Es werden vorwiegend gesellschaftskritische Themen ausgespielt, die mit herrlichen Larven und grossen Figuren dargestellt werden (oder auch ganz kleinen: Die Musikanten trugen – quasi als einzige Verkleidung – eine Teelicht-Kerze in einem Plastikbecher auf dem Kopf und erinnerten so an die viel kritisierte Gedenkaktion des Präsidenten für die Covid-Toten in Tschechien…). Dann werden die Requisiten mit Musik (in diesem Jahr eine Trommlerin aus Basel) durch Prag auf die Moldauinsel getragen, wo sie für den morgigen Umzug eingelagert werden.
Und dann, am nächsten Tag, der grosse Moment. In diesem Jahr versammeln sich gegen 200 Menschen auf der Insel in der Moldau und zuerst werden – durch eine Moderatorin mit Megaphon – die Gruppen einander vorgestellt und das Sujet erklärt. Dann formiert sich der Umzug und marschiert unter der Begleitung der «Schlauch-Band» durch die Prager Innenstadt. Der erste Höhepunkt ist das Überschreiten der Karlsbrücke und der zweite das Durchschreiten der Prager Hauptstrasse, die gesäumt ist von Tausenden von Menschen, die natürlich ob dem Fasnachtsumzug sofort ihr mobiles Telefon oder ihre Kamera zücken. Also man kann es drehen wie man will: die Prager Fasnacht, und sei sie noch so klein, hat am 17.11. mehr Zuschauende als der Basler Cortege in Kleinbasel. Von dieser Seite betrachtet ist der 17.11. ein sehr ideales Datum…
Die Teilnehmenden tanzen, singen, deklamieren ihre Botschaft per «Zeedel» (der dann auch schon mal eine Zeitungsseite gross sein kann) und per Megaphon. Sie freuen sich über das Interesse der Passanten und zeigen voller Imbrunst ihre Requisiten. Und es gibt einige, sehr schöne, klassisch kaschierte Larven.
Zahlreiche bessere Bilder finden Sie unter folgendem Link, der zum Fotografen Jan Hromadku führt: https://www.facebook.com/media/set/?vanity=jhromadko&set=a.10226976732628846
Die Ausgabe 2021
Man hat mich vorgängig schriftlich gewarnt: «..es wird in diesem Jahr nicht grösser sein als ein Schulhausumzug…». Und richtig: Der Umzug bestand in diesem Jahr aus 7 Gruppen mit Requisiten, einer Kapelle (jene Schlauch-Band, die auch schon in Basel am Fasnachts-Dienstag mitgewirkt hat…) und ein paar Kostümierten. Eine regelrechte Spar-Ausgabe, höchstens zu vergleichen mit einem «Zyschtigsziigli» an der Fasnacht in Basel. Kein Vergleich zum Beispiel zur Ausgabe 2018, wo gegen 500 aktiv Mitwirkende teilgenommen haben. Auch externe Gruppen gab es immer wieder: eine Percussions-Abteilung aus Brüssel oder Fasnachtscliquen- und Exponenten aus Basel (Optimischte, Basler Bebbi, Beery Batschelet). In diesem Jahr haben sich aber gerade mal 3 auswärtige Besucher angemeldet. Wovon einer zum Schreiben…
Was ist passiert? Naja: Die angesprochenen Gruppen aus Basel (u.a. auch die Bärengesellschaft), haben sich dem Corona-Virus gebeugt (seit einigen Tagen zählt Tschechien als Hochrisiko-Land). Dann fehlen der Fasnacht halt die Finanzen und das OK wurde neu besetzt. Olga hofft sehr, dass es im nächsten Jahr wieder vorwärts geht. Und ja, das Potential ist vorhanden. Und wartet darauf, wieder geweckt zu werden.
Die Beziehung zur Basler Fasnacht
Olga kennt gefühlt alle in der Basler Fasnachtsszene. Sie hat Kontakte zu Cliquen, KünstlerInnen und zu Organisationen. Sie kennt Fasnachtseinheiten, von denen der Schreibende noch nie gehört hat. Die Prager «Schlauch-Band» war schon mehrmals an der Basler Fasnacht präsent (mit Zeedel!). Die Medien in Basel und der Schweiz (SRF) haben über Olga und ihre Arbeit berichtet. Und nächstens wird sie wieder für mehrere Monate nach Basel kommen, um an der Universität über «Fasnacht und Religion» zu dozieren. Selbstverständlich nimmt sie die Familie mit. Den Jüngsten hat sie in einer Kita angemeldet und der ältere der beiden Söhne konsequenterweise in einer Fasnachtsclique! Selbstverständlich hat sie auch schon mit Mitgliedern des Comités gesprochen und die «Schlauch-Band» hat 2017 ihr Sujet in Basel dem Fasnachts-Comité gewidmet. Damit hat man damals um «Entwicklungshilfe» in Sachen Fasnacht gebeten…
2018 lief eine veritable «Fasnachts-Ladäärne» im Prager Umzug mit. Ermöglicht durch Werni, einen Basler Laternenmaler, der in Prag einen Workshop für den Bau und die Bemalung einer «Ladäärne» gegeben hat!
Der Draht zu Basel ist da. Es ist zu hoffen, dass künftig wieder mehr Fasnachtsfreunde aus Basel nach Prag pilgern dürfen. Wenn möglich kostümiert und mit Instrumenten. Damit diese «Entwicklungshilfe» in Sachen Fasnacht fortgeführt werden kann.
Wer sich für eine Teilnahme an der Prager Fasnacht interessiert oder einfach mit Olga Kontakt aufnehmen möchte, um mehr darüber zu erfahren, hier ist ihre E-Mail-Adresse: o.c@atlas.cz
Wer einen Einblick in eine «normale Ausgabe» haben möchte, dem sei ein Einblick in mittels youtube-Film von 2018 empfohlen:
https://www.youtube.com/watch?v=e8u1zsP8KEA