Sämi liebt die Fasnacht und besonders seine Arbeit während dieser Zeit. Er ist nämlich Reporter beim «Bebbistab», einem Gratisanzeiger, der Basel zwar mehrheitlich mit Inseraten und PR-Artikeln überflutet, die Fasnacht aber redaktionell aber recht breit abdeckt. Dass dies Sämis Aufgabe war, hat den unschätzbaren Vorteil, dass er sich beim Besuch der vielen vorfasnächtlichen Anlässe nicht um die horrenden Eintrittspreise kümmern muss; man schickt ihm stets Gratis-Karten und erwartete als kleine Gegenleistung eine wohlwollende Berichterstattung.
So besuchte Sämi einmal mehr voller Vorfreude das «Drummeli», welches nicht zu Unrecht auch den Namen «Monstre» trug. Mehr als tausend Aktive brachten auf der Bühne der Messe die Basler Trommel- und Pfeiferkunst perfekt zur Aufführung. Und Sämi schwelgte unten am Pressetisch in fasnächtlicher Seeligkeit, lediglich ab und zu gestört durch unpassende Bemerkungen eines neben ihm sitzenden und ziemlich schwergewichtigen Alt-Journalisten. Den Kopf noch voller Klänge und die mit Notizen randvollen Zettel in der Hand, kämpfte sich Sämi nach der Premiere an die Bar, bestellte sich das wohlverdiente Bier und übersah lange Zeit die Frau neben sich, obwohl sie genau seine Kragenweite hatte. Um die Hüften etwas füllig, weniger sensible Zeitgenossen hätten sie wohl als vollschlank beschrieben. Sämi aber erklärte seinen Freunden bei jeder passenden – und bei jeder sonstigen – Gelegenheit, dass er sich im Bett keine blauen Flecken holen wolle, die Frauen mit Modell-Figuren bezeichnete er ungeniert als Hundehütten – «in jeder Ecke ein Knochen».
Erstaunlich also, dass Sämi der Dame neben ihm erst Aufmerksamkeit zollte, als diese ihn ansprach. Er sei doch der Reporter… und ob er den Auftritt der «Senatoore» auch gebührend würdigen würde? Sämi, ob seines Bekanntheitsgrades geschmeichelt, musterte Claudia – so stellte sich das holde Wesen vor – genauer, und was er sah, das gefiel ihm ausserordentlich. Nun wurde er zum gewandten Plauderer, bestellte Wein für beide, flirtete, was das Zeugs hielt, seine Sprüche wurden anzüglicher, ihr Lachen vertraulicher – kurz: da bahnte sich etwas an. Nur schade: das anfänglich genossene Bier forderte sein Recht, und als er von der Toilette zurückkam – da war der Rubens-Engel weg.
Etwas frustriert machte sich der Sämi auf den Heimweg, im Kopf aber den festen Plan, nach einer der nächsten Vorstellungen wieder die «Drummeli»-Bar aufzusuchen. Schliesslich tritt die Claudia ja jeden Abend auf. Und tatsächlich war der Sämi zwei Abende später bereits wieder an der Bar zu sehen – und das nicht umsonst. Claudia – noch im Kostüm und umringt von anderen «Senatoore» – lehnte an der Ecke und erkannte ihn sofort wieder. Man machte dort weiter, wo man nach der Premiere aufgehört hatte. Der Inhalt mehrerer Weinflaschen schwand ebenso schnell dahin wie der Inhalt von Sämis Geldbeutel. Als die «Senatoore» beschlossen, noch einen Fasnachtskeller aufzusuchen, war der Reporter so flüssig wie die Basellandschaftliche Staatskasse, er musste passen. «Schade, dann auf ein ander Mal», hauchte Claudia noch lächelnd – und schon war sie wieder weg. Sämi war dieses Mal noch frustrierter, der Ärger, wieder nicht zum Zug gekommen zu sein, wurde verstärkt durch die Tatsache, dass seine Finanzlage anstelle des Taxis nur die eigenen Sohlen als Heimkehr-Vehikel erlaubten. «Das nächste Mal klappt’s!», waren vor dem Einschlafen seine letzten Worte.
Und um diese Worte in Taten umzusetzen, stellte sich Sämi gleich am nächsten Abend wieder an besagte Bar, diesmal aber mit genügend Barem versorgt. Doch das Glück war ihm nicht hold – seine holde Claudia war zwar anwesend, aber bereits von einem blonden Schönling mit Beschlag belegt, grüsste sie ihn kaum. Sämi tat, was ein Mann in solchen Fällen tun muss: er bestellte sich die Biere zwei bis zwölf. «Du bist wohl Stammgast hier?» hörte er ungefähr bei Nummer elf angelangt, drehte sich zur Seite und nahm gerade noch wahr, dass Sabine neben ihm stand, eine der «Senatoore» vom letzten Mal. Sie war das genaue Gegenteil von Claudia, gross, gertenschlank – und dazu von spitzem Mundwerk, wie der Sämi bald feststellte. Dies aber hatte seinen Reiz, man frotzelte gegenseitig, keiner war um eine Antwort verlegen, auch wenn Sämi durch stetiges Nachfüllen des Bierglases etwas in’s geistige Hintertreffen geriet. «Schade, dass die so dünn ist», murmelte er vor sich hin, als er zum xten Mal von der Toilette zurückkehrte, gleichzeitig stellte er aber auch zufrieden fest, dass Sabine im Gegensatz zu anderen Damen seine Abwesenheit nicht zum Verlassen der Bar ausgenutzt hatte. Der Abend endete damit, dass Sämi recht unsicheren Schrittes zum Taxistand kam – immerhin hatte man vorher die Telefonnummern ausgetauscht. «Wirklich schade, eine Hundehütte…», waren diesmal die letzten Worte, bevor ihn der Schlaf übermannte.
Überschlagen wir die nächsten Wochen, das «Drummeli» ging zu Ende, die Fasnacht auch, und die «Senatoore» waren auf ihrem Bummel. Beim Mittagessen wandte sich Claudia mit grossen Augen an ihre beste Freundin: «So einen Hunger habe ich bei Dir noch nie festgestellt», meinte sie, «und ausserdem – sei mir nicht böse, Sabine, – scheint mir, Du hast zugenommen.» «Das liegt an meinem neuen Freund – und den kennst Du», erwiderte die Angesprochene. «Der Reporter ist es. Als Du am Drummeli nur noch mit Deinem Bruder zusammen warst, da war mir langweilig und ich habe ihn angesprochen. Stell Dir vor, am nächsten Tag schon rief er an, na ja, wie das dann so geht…» Claudias Neugierde war damit aber nicht befriedigt, was denn das mit der Gewichtszunahme zu tun habe? «Der Sämi ist lieb», lautete die Erklärung, «fast jeden Abend lädt er mich zum Essen ein oder kocht für mich. Da wird man halt runder um die Hüften.»
Der, über den da geredet wurde, befand sich zur selben Zeit in der Sauna und rieb sich stöhnend die Hüfte. «Was hast Du denn?» fragte neben ihm der Xaver. «Ach, gestossen habe ich mich – einen blauen Fleck», war die ausweichende Antwort. Mit nochmaligem Stöhnen legte sich Sämi auf die Sauna-Bank und schmunzelte plötzlich. «Aber nicht mehr lange!» – dies waren diesmal seine letzten Worte.