Überall auf der Welt – ob in Rio, Venedig oder Düsseldorf – werden neun Monate nach Fasnacht, Fasching oder Karneval viele Kinder geboren; nicht so in Basel, denn während den schönsten drei Tagen «hett dr Bebbi kai Zyt». So hat es der bekannte Basler Journalist Sten einmal geschrieben – und so stimmt es auch. Während in Rio der nackte Busen regiert und der deutsche Fasching weitgehen unter dem Motto «Ringelpietz mit Anfassen» läuft, spielt sich die Basler Fasnacht in erster Linie auf der Strasse und nicht in Hotel- oder sonstigen Betten ab.
Das heisst aber noch lange nicht, dass Zwischenmenschliches zwischen Fasnachtsmontag und -mittwoch keine Rolle spielt. Fast jeder Tambour und jede Pfeiferin kann von einem «Fasnachts-Schatz» berichten. Doch in den meisten Fällen sind diese Beziehungen sehr zarte Bande, platonisch, romantisch… und sehr kurz; am Donnerstag morgens um fünf ist auch in dieser Hinsicht meist alles vorbei. Eine dieser kleinen Romanzen soll stellvertretend für all die vielen Geschichten der Fasnachtliebe Erwähnung finden.
Ein Schatz für Sekunden
Völlig verstört kommt der Pfeifer von den Stainlemer – nennen wir ihn Dieter – beim Halt seiner Clique am Rümelinsplatz in s «Hotel Basel». Dass heisst, eigentlich ist er weniger verstört, als vielmehr verklärt: glänzende Augen und gerötete Wangen verraten, dass etwas Aussergewöhnliches stattgefunden haben muss. Seine Cliquen-Kollegen merken es schnell – spätestens, als Dieter auf die Frage, ob er ein Bier wolle, nicht reagiert, richtet sich das gesammelte Interesse auf seine Person. «Als er zum letztenmal auf das Stichwort Bier nicht reagiert hat, musste ein Krankenwagen kommen», meint der Guschti. Ein tiefer Seufzer entringt sich der Brust des geistig völlig abwesenden Dieter. «Bisch verliebt?», fragt Hausi – und merkt plötzlich: genau in’s Schwarze getroffen hat er mit seiner scherzhaft gemeinten Frage.
Ganz entgegen seiner sonstigen Gewohnheit ist Dieter nämlich nicht sofort in « Baiz» verschwunden, als die Stainlemer ihren gewohnten Halt am Rümelinsplatz einlegten. Weiss der Teufel, warum, denkt er im Nachhinein; es muss wohl höhere Gewalt gewesen sein. Statt in ein Bierglas zu starren, schaut er verträumt einer Pfyffer-Gruppe zu, die das «Brandeburgerli» intoniert und gemächlichen Schrittes Richtung Heuberg entschwindet. Dabei spürt Dieter plötzlich eine sanfte Berührung. Er schaut neben sich auf das Mädchen im Bajass-Kostüm, welches – genau wie er – der Gruppe nachschaut und sich dabei an seine Schulter anlehnt.
Ihre Augen treffen sich, sie lächelt – und er weiss plötzlich nicht einmal mehr, dass Fasnacht ist. Ihr scheint es nicht anders zu gehen, aus der sanften Berührung wird eine festere, praktisch gleichzeitig, als sein Arm um ihre Schulter greift, gleitet die ihre um seine Hüften. Worte fallen keine, wären auch überflüssig, gemeinsam geniessen beide die von Pfeifen und Trommeln erfüllte Luft. Und wie von einem Marionnettenspieler gezogen, drehen beide die Gesichter zueinander. «Göhnd doch e chli uff d Syte!» – eine Tambourengruppe verschafft sich Gehör und Platz. Für wenige Sekunden nur wollen und müssen sich die beiden, die sich eben erst gefunden haben, wieder trennen, die Gruppe marschiert durch, ist weg… und der Bajass auch. Dieter schaut sich gehetzt um, irgendwo muss sie doch sein. Vergeblich! Wie auf Watte schleicht der Enttäuschte zu seinen Kollegen, überlegend, ob eigentlich wirklich etwas gewesen war. Vielleicht war alles nur ein fasnächtlicher Tagtraum?
Je länger die Fasnacht dauert, desto stärker ist Dieter davon überzeugt, dass die Begegnung nicht stattgefunden hat, nicht stattgefunden haben kann. Und so langsam schmeckt auch das Bier wieder, verstummen die Hänseleien der Cliquenkameraden. Das Mädchen verschwindet aus seinen Gedanken, bis… ja, bis er am Donnerstag die Zeitung aufschlägt, um die Anspielzeit seines Fussball-Vereins zu erfahren. Sein Blick fällt auf die Spalte «Perseenligg» und dort auf den Text: «Dr Bajass vom Rümelinsblatz wartet am Kehruss in dr Bängglerstube uff sy Grenadier.» Der Fussball wird ohne ihn stattfinden…