Die Vorfasnacht verläuft zuweilen auf herrlich skurril-schrägen Bahnen. Ein kleines Bijou, dessen Existenz sich nur die profundesten Kenner des vorfasnächtlichen Treibens bewusst sind, ist das Offizielle Bryysaasaage und -zaige, welches am 10. Hornig 2024 zum 6. Mal über die Bühne ging. Vor vielen Jahren unter den Mimöslitrommlern von STICKSTOFF (mittlerweile: d Rötzilisgge vo STICKSTOFF) entstanden, geht es bei diesem Wettbewerb darum, einen Marsch nach allen Regeln der Tambourmajorenkunst anzusagen. Schauplatz war dieses Mal die Bühne im Kulturhuus Häbse. Kaum war der letzte Mimösli-Vorhang gefallen, ging er bereits wieder auf und Conférencier Roman Zehnder erklärte den zahlreichen Schaulustigen das Prozedere. Die Konkurrierenden (27 an der Zahl – vermutlich ein Rekord) treten für ihren Auftritt ins Scheinwerferlicht der Bühne, unmittelbar nachdem sie einen Marsch gezogen haben. 35 Märsche standen zur Auswahl, unter anderem Glopfgaischt, Mätzli, aber auch die Zungenbrecher Iredulpf und die letzten Schweizermärsche.
Ein typischer Auftritt dauert dabei nur wenige Sekunden und wird von einer gestrengen Jury fachkundig beurteilt; Beat Schürpf und Sämi Moor widmeten sich dieses Mal dieser Aufgabe bravourös. Beurteilt wird Haltung, Artikulation, Verständlichkeit, Stil, etc. Ist das Tempo dem Marsch angepasst? Würde ein Tambour in der hintersten Reihe das Kommando noch verstehen, wird die Aufmerksamkeit der (imaginären) Clique erreicht?
Dabei werden auch immer wieder schöne Geschichten geschrieben: Zum Beispiel hat das Losglück den Enkel des Komponisten des beliebten Trommelmarsches Ueli den selbigen ansagen lassen. Und ein Co-Autor der erst wenige Tage zuvor komponierten Gipfelstürmer-Retraite, durfte diese gleich selbst ankommandieren und erhielt von einem Juror ganz nebenbei die kaum zu erreichende Maximalpunktzahl. Für den Finaleinzug, der nur den drei (in den Augen der Jury) besten Ansagern vorbehalten ist, hat es in diesem Fall trotzdem knapp nicht gereicht. Pech, denn bei den anderen Ansagevorträgen war sich die Jury sehr einig. Auch kreative Varianten sind immer wieder zu sehen und sorgen für Abwechslung. So liess es sich Hausherr Dani von Wattenwyl nicht nehmen, gleich selbst noch einen Marsch anzusagen, façon Inspektor Jacques Clouseau. Während solche Vorträge dem Publikum eine willkommene Abwechslung sind, so fallen diese doch eher in die Kategorie «Plausch», denn für das Erreichen des Finals ist höchste Präzision gefragt. Auch da sind stilistische Unterschiede möglich, überzeugte doch ein Finalist durch perfekte Körperspannung und militärisch stramme Haltung, während ein anderer seine imaginäre Clique mit jovialer, fast tänzerischer Leichtigkeit in den Marsch führte.
Im Gegensatz zur «Gwalifikazioon» findet der Final anonymisiert statt. Drei Finalteilnehmer betreten unter riesigen Waggislarven und ebensolchem Applaus zeitgleich die Bühne und Roman Zehnder erklärt dem Publikum die Regeln der Königsdiszplin: Morgestraich-Aasaage.. Auf sein Kommando hin wird ein (versteckter) Timer gestartet und 30 Sekunden später wird das Licht auf der Bühne und im Saal ausgehen. Für Fasnachtskenner ist klar: Die Aufgabe der drei Finalisten besteht darin, den Morgestraich möglichst präzise anzusagen und sich dabei nur auf das innere Zeitgefühl zu verlassen. Erwähnenswert ist, dass diese Aufgabe von allen Finalisten gleichzeitig gelöst werden muss. Sollten die Pfyffer und Tambouren den Morgestraich aufgrund eines zu frühen «Marsch!»-Kommandos noch bei Licht spielen (in diesem Falle nur in der Vorstellung, in situ anwesend sind keine Musiker), würde das die Disqualifikation bedeuten. Der Konkurrent – in diesem Fall waren nur männliche Personen im Final vertreten –, dessen Phantomclique am nächsten nach dem Lichterlöschen mit dem Morgestraich zu spielen begänne, gewinnt den Final. Im absoluten Wunschszenario würde also das «Marsch!» noch im Licht erfolgen und erst danach die Morgestraichglücksseeligkeit beginnen.
Und efreulicherweise haben gleich zwei Waggise diese Präzision erreicht und die Anwesenden kamen in den Genuss eines der hochstehendsten, spannendsten Finale seit es diesen Wettbewerb gibt. Aber von vorne: Der Countdown beginnt. Die Atmosphäre knistert im Kulturhuus Häbse, angespannte Stille. Man wähnt sich auf dem Määrt oder in einer Kleinbasler Gasse, frühmorgens vor dem ersehnten Glockenschlag. Nur der echte Morgestraich ist authentischer. Nach circa 15 Sekunden erklingt unter einer Larve: «Achtung!» während etwas verzögert auch ein zweiter mit dem Ansagen beginnt. «Zwai Mool Mooorgestraich, Tangoooo … die Alte!» Beide Ansager scheinen mit der gleichen Kommandokaskade vertraut zu sein. Erst da beginnt auch die Stimme des dritten die Stille im Raum zu stören. Die anderen beiden fahren aber fort, leicht versetzt zwar, aber «Moorgestraich: Vorwääääärts …» um dann doch so gut wie gleichzeitig anzukommen beim «MARSCH!» Während eines gefühlt schier unendlich langen Momentes bleibt das Licht noch an, Raunen im Saal; doch im letztmöglichen Moment vor der drohenden Disqualifikation geht das Licht punktgenau auf den ersten Schlepp des 5er-Rufs aus (nochmals: nur in der Phantasie). Grosser Jubel im Saal, Erleichterung, Triumph und mittendrin noch das – leider zu späte – «MARSCH!» des unglücklichen dritten Waggis: die anderen beiden haben quasi zeitgleich «Marsch!» gebrüllt, jedenfalls konnte man keinen verlässlichen Unterschied wahrnehmen. Licht wieder an, Larve runter! Und man erkannte nun, dass Moritz Frei (Rötzilisgge, Sieger des 5. Ansagens 2019) und Nico Hostettler (Rötzilisgge, erste Teilnahme) für den besten magischen Moment gesorgt haben. Man einigte sich auf einen Doppelsieg ex aequo. Dritter mit einer ordentlichen Leistung wurde Dominik Mangold (STICKSTOFF), der sich mit einer soliden Leistung in der Gwalifikazioon in den Final angesagt hat. Wer denkt, dass es sich nur um einen Spasswettbewerb handelt, dem sei gesagt: die Nervosität spüren alle Teilnehmende und hie und da wird auch heimlich geübt. Und die Resultate werden nach dem Wettkampf heiss diskutiert! Warum ist auch in der 6. Ausgabe kein Piccolospieler im Final? Macht die Jury einen Unterschied zwischen «Achtig!» und «Achtung»? Fragen über Fragen. Jedenfalls durften die Fasnächtler im Häbsesaal während rund einer Stunde beste vorfasnächtliche Unterhaltung geniessen. Vielen Dank allen Helferinnen und Helfern, allen Ansagerinnen und Ansagern und den Juroren! Wir freuen uns auf die nächste Ausgabe und werden am 19. Hornig 2024 ein paar Sekunden vor 04:00 Uhr gaaaanz genau hinhören!
Schlussrangliste Final Offiziells Bryysaasaage und -zaige 2024
1. Moritz Frei (Rötzilisgge)/(ex aequo) Nico Hostettler (Rötzilisgge)
3. Dominik Mangold (STICKSTOFF)
Medaillespiegel Offiziells Bryysaasaage und -zaige (2013–2014, 2016–2017, 2019, 2024)
- STICKSTOFF/Rötzilisgge 6 G, 4 S, 6 B
- Fasnachts-Comité 1 G, 0 S, 0 B
- Bühnewernis 0 G, 1 S, 0 B