Es passt nicht mehr. Es reicht! Oder jetzt erst recht?

14. Januar 2022 | Von | Kategorie: Nachrichten

(Die nachfolgenden Zeilen widerspiegeln die persönlichen Meinungen der beiden fasnacht.ch-Redaktoren

Die Polemik über die Frage: „Gibt es eine Fasnacht? Wann, wie und für wen überhaupt?“ spaltet die Fasnachtsfamilie in Basel. Und das ist gefährlicher als eine Totalabsage.

von Daniel Thiriet

Als am 28. Februar 2020 dieses Medium vermelden musste: «Bundesrat verbietet Basler Fasnacht!» war der Aufschrei gross, die Trauer riesig, der Frust grenzenlos und der Gesamtschock unvergessen. Aber – zumindest bei vergleichsweise vielen FasnächtlerInnen war das Verständnis da. Ja, wir erlebten dazumal eine Pandemie, die wir so bisher noch nicht erlebt haben (bei der Spanischen Grippe waren wir wohl noch nicht dabei). Also wird es schon richtig sein. Und vor allem: Es war klar und deutlich!

Zwei Jahre später sieht die pandemische Situation ähnlich aus: Wir haben eine sehr ansteckende Mutation – Omikron! Zwar werden die Spitalbetten nicht so beansprucht, aber die Bevölkerung wird bestandesmässig durch die Quarantäne und das Homeoffice geschwächt.

Also könnte die Regierung, der Bundesrat, das Fasnachtscomité oder wer auch immer den Schwarzen Peter in die Hand nehmen muss, ein ähnlich klares Verdikt wie damals sprechen. Entweder: Ja, liebe Fasnächtler, wir können Fasnacht machen. Oder nein, liebe Fasnächtlerinnen, wir machen zum dritten Mal keine Fasnacht.

Was nun aber passiert, ist vor allem eins: Sehr schadhaft für die Glaubwürdigkeit!

Die Botschaft lautet, zusammengefasst ungefähr so:

Es gibt keine Fasnacht, also keine normale. Der Cortège ist schon mal abgesagt und damit die Wagen und die Chaisenfraktion ersatzlos enttäuscht. „Wir suchen schon mal eine Möglichkeit, wie wir den Rest organisieren können.“ Die Frage, weshalb ein Umzug im Freien gefährlicher sei soll, als ein Drummeli im Saal, kann man nicht so richtig erklären.

Dann werden alle Veranstaltungen mit über 1000 Menschen verboten. Indoors! –  Outdoor? FCB ja. weil man kein Piccolo, keine Trommel, keine Zügel, kein Sousaphon oder gar eine Orange in der Hand hält.  Fasnacht deshalb nicht! Vogel Gryff – klar. Das sind ja Äpfel und keine Orangen. Und es sind ja alles Geimpfte im Kleinbasel. Und Kinder sind eh befreit. Ausser beim Laaferi. Oder beim Offizielle. Das geht leider nicht, weil zwar unter 1000 Menschen im Saal, aber halt Kinder. Die sind noch nicht geimpft. Die sollen an den Vogel Gryff oder an den FCB Match. Aber auf keinen Fall hinter die Trommel.

Die Vorfasnachtsveranstaltungen, die können stattfinden. 2G, bitte. Eng bestuhlt, dafür ohne Bar. Das Corona-Virus steht nicht auf Basler Kultur. Darum sind Pfyfferli, Charivari etc. unbedenklich. 500 im Volkshaussaal muss gehen (Die 50, die danach im Schoofegg den Auftritt feiern, geht auch…! Omikron steht nicht so auf enge Räume…). Dass ganze Cliquen aus Sicherheits- und Vernunftsgründen ihren Drummeli-Auftritt absagen, ist zwar schön und vorbildlich, aber spielt keine Rolle. Und es wäre nicht nötig. Das Drummeli findet schliesslicht nicht draussen statt.

Ach und noch was: Ob es einen Morgestraich gibt oder nicht, ob man dann gässeln darf mit oder ohne Tram, das wollen wir jetzt noch nicht sagen, sondern erst anfangs Februar. Und weil dann vielleicht die Vorbereitungszeit zu kurz ist, verschieben wir die Fasnacht gerne vielleicht auch in den Mai. Zumindest sprechen wir darüber.

Klar? Klar!

Die Situation, so wie sie sich präsentiert: Die Jungen Garden sind madig und schreiben einen offenen Brief an die Regierung. Die Wagen IG ist madig, fühlt sich vergessen und vernachlässigt und verfasst eine Medienmitteilung deswegen. Einige Cliquen starten Petitionen für eine Sommerfasnacht oder schreiben einen „offenen Brief“ an die Regierung. Fehlt nur noch ein Sit-In auf dem Märtplätz. Mit Maske. Mit gesticktem Waggiskäppli oder Alu-Hut. Nur gerade die Schnitzelbangg-Formationen sind sorgenfrei. Die hatten schliesslich ihren Schreckmoment schon 2021, wo ihnen – aus Ansteckungsgründen – sinnfrei verboten wurde, am TV zu singen. Die dichten und üben und werden ihre Verse in den Vorfasnachtskisten singen oder dann in den Beizen irgendwann  an der GGG-Fasnacht. Wo anzunehmen ist, dass Omikron nicht dabei ist, weil alle geimpft, genesen und geboostert sind… D Wäägeler und d Chaise sind dann längst in den Skiferien. Bei den Cliquen ist die Situation total unübersichtlich: Von «mir mache nüt» über «mir gässle im Charivari» bis zum «mir mache unsere aigene Cortège mit Sujet» ist alles dabei. Wir sind eine grosse, vereinte Patchwork-Multikulti-Pflege-Fasnachts-Familie. Jeder macht, was er will. Die Hauptsache 2G.

Unter dem grossen, dicken Strich am Schluss: Der Weg zur Fasnacht 2022 ist kaputt, egal was jetzt kommt. Zu viele sind enttäuscht. Zuviele werden ausgelassen oder diskriminiert. Und nicht nur «der Nachwuchs» geht verloren, weil sie nicht mehr wissen, was Fasnacht ist (was natürlich eine blöde Übertreibung ist). Sondern auch Erwachsene, denen es mittlerweile zum Hals raus hängt.

Nix ist kaputt – es ist eine Chance!

eine Replik von André Auderset

Es ist in einem so engagierten Team wie der Redaktion von fasnacht.ch nicht unüblich, dass es zu einem Thema unterschiedliche Ansichten gibt. Eher selten ist, dass sich zwei Teammitglieder eigentlich über eine Sachlage einig sind – aus dieser aber ganz unterschiedliche Schlüsse ziehen. Hier ist das der Fall.

Ich stimme meinem geschätzten Kollegen Daniel absolut zu, dass die aktuelle Kakafonie «Fasnacht Ja… oder doch nicht…oder im Mai… vielleicht doch im Sommer» nicht gerade optimal ist. Und ich stimme Daniel lebhaft zu, dass die aktuellen Anordnungen der Basler Regierung einmal mehr nicht von Logik und Verstand, dafür von sehr viel blindem Aktionismus geprägt sind. Und es ist zu befürchten, dass dies auch auf Entscheidungen im Zusammenhang mit der (jawoll!) kommenden Fasnacht zutreffen wird.

Ich ziehe aber einen ganz anderen Schluss daraus. Der Weg zur Fasnacht 2022 ist keineswegs kaputt – vielmehr ist dieses (Tschuldigung!) «eierlose Rumgeeiere» eine Chance, sich darauf zu besinnen, was Fasnacht eigentlich ist oder zumindest sein soll. Fasnacht soll Kreativität sein. Fasnacht darf ein wenig Anarchie sein. Fasnacht muss – geschützt durch eine Larve, nicht eine Maske –, auch Widerstand gegen die Obrigkeit sein.

Deshalb: lasst uns kreativ sein! Ansätze waren ja bereits an der «Nicht-Fasnacht» 2020 vorhanden, als Formationen den Morgenstraich summend aus den Gassen kamen, im Schafgässlein ein Blitz-Morgenstraich stattfand, ja sogar jemand auf dem Piccolo pfeifend den Rhein runterschwamm. Da hat es noch Luft nach oben. Warum nicht «drey Dääg Zyschtig» mit Gässle in kleineren Gruppen (klar, die Stammcliquen müssten sich aufteilen), mit Kinderzügen, mit kleinen, vorher nicht angekündigten (und daher nicht die Massen anziehenden) Platzkonzerten von Guggen? Warum nicht Wägeler mit Leiterwagen und einer gemeinsamen Session auf dem Kasernenplatz?

Vielleicht nimmt die Regierung ja noch Vernunft an (die Hoffnung stirbt zuletzt) und lässt ein solches Treiben zu, denn draussen finden bekanntlich kaum Ansteckungen statt und Omicron soll ja sogar nach Meinung der grössten Weltuntergangs-Virologen Ende Februar auf dem Rückmarsch oder gar fertig sein.

Und wenn sich die Obrigkeit sperrt – was soll’s? Denkt daran, den heutigen Morgenstraich hätten wir nicht, wenn nicht am 27. Februar 1833 frühmorgens ein gewisser Metzger Bell mit einigen Dutzend Leuten losgezogen wäre. Zitat aus altbasel.ch: «Am selben Tag machten die „Bell’schen Spiessgesellen“ (das Wort passt hier bestens) auf 16.00 Uhr mit einem Zug von bis zu hundertfünfzig Personen Strassenfasnacht in Gross- und Kleinbasel. Polizei und Standestruppe verzichteten als Ordnungsorgane auf ein Eingreifen. Sie wären ohnehin nicht im Stande gewesen, die Volksmenge ohne Waffengewalt zu zerstreuen, und zur Waffe wollte man deswegen nicht greifen.» Vielleicht gibt es am 7. März 2022 eine Neuauflage – denn für mich ist klar: Fasnacht ist am 7. März 2022, was wir daraus machen, liegt an uns…