Es gibt wohl kaum ein wichtigeres Utensil für einen Basler Fasnächtler als seine Larve. Ohne diese ist er aufgeschmissen, demaskiert – ja im wahrsten Sinn des Wortes entlarvt. Und deshalb passt auch jeder Fasnächtler während der drei schönsten Tage im Jahr auf seine Larve auf. Oder er sollte es wenigstens…
Nicht genügend aufgepasst hatte nämlich Veto von der Wagenclique «Stallsplitter». Übrigens: Veto heisst er bei seinen Kumpanen, weil er bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit den Satz «Jä nai hösch, dä kasch nit bringe» von sich gibt – aber das ist eine andere Geschichte. Diejenige, die hier erzählt werden soll, die handelt eben von seiner Larve und vom Aufpassen darauf.
Damit war es nämlich nicht mehr weit her, als Veto mit seinem Cliquenfreund Hampe vom Fasnachtsdienstag auf den Mitwoch im «Kanarieveegeli», einer nicht ganz unbekannten Fasnachtsbaiz im Kleinbasel, hockte. Gin Tonic Nummer 10 bis 15 waren bereits erfolgreich vernichtet und hinsichtlich der Zeit hätte sich der Hahn (wenn man denn am Fasnachtsmittwoch in Basel einen solchen finden würde) bereits längstens heiser gekräht. In einer seiner seltenen Anwandlungen von Vernunft beschloss Veto, nun doch noch nach Hause zu gehen, um vor dem Cortège eine erfrischende Douche zu nehmen. Gesagt, getan – und weg war der leicht Schwankende.
Zuhause reichte es sogar noch für zwei Stündchen Horchen am Kopfkissen, bis es dann Zeit zur erfrischenden Säuberung wurde. Aber nach der eiskalten Douche durchfuhr es Veto bei der Durchsicht seines fasnächtlichen Inventars siedendheiss: Das «Goschtym» war da, aber wo war die Larve? Durch den alkoholgeschwängerten Nebel der vergangenen Nacht kam immerhin noch die Erinnerung, wo er gewesen war und mit wem. Rasch deshalb der Anruf bei Hampe, der zwar ziemlich verschlafen, aber gleichzeitig eine Beruhigung war. Er habe die Larve entdeckt und mitgenommen: «Warte, ich schau mal, wo sie ist.» Minuten später kam dann ein ziemlich zerknirschter Hampe zurück an den Draht; er habe die Larve zwar ins Tram mitgenommen, dort sei er aber eingeschlafen und habe wohl einige Ehrenrunden gedreht. Beim Aufwachen und Aussteigen müsse er die Larve wohl im Tram vergessen haben. Da Hampe aber selbst Trämler war, wusste er genau, welcher Kurs es gewesen sei – und er wusste Rat: Geh zum Fundbüro der BVB!
Veto, mittlerweile sehr munter geworden, hastete in die Stadt. Die Dame, welchen sein Anliegen bei der BVB entgegennahm, war nett, aber keine grosse Hilfe: Bei ihr sei nichts eingegangen. Vielleicht liege das Utensil immer noch im Tram – und dieses fahre zur Zeit gerade nach Riehen. Am besten fahre er mit dem nächsten Tram hintennach und warte an der Haltestelle «Eglisee», da käme der Kurs auf der Rückfahrt vorbei.
Ein nun schon deutlich hektischerer Veto rannte auf das soeben ankommende Tram und erreichte «Eglisee» tatsächlich rechtzeitig – um erneut enttäuscht zu werden. Die Larve war nicht mehr da. Immerhin hatte der Tramführer eine hoffnungsvolle Nachricht. Er habe Vetos Maskierung an der Endstation entdeckt und im Depot «Morgartenring» abgegeben. Und da fahre dieses Tram ja hin.
Ein nun schon äusserst nervöser Veto blieb also im Tram sitzen – und sass dabei buchstäblich auf Nadeln, denn die Zeit rannte ihm davon. In einer Stunde begann der Cortège, und er war noch immer ohne Larve. Ellenlang dauerte es, bis endlich das Depot erreicht war. Veto stürmte rein und sah lediglich zwei Beine, die unter einem Tram hervorschauten. Auf Zuruf erschien auch der Rest, und der restlos Gestresste konnte nur einen Satz hervorstammeln: «Wo ist meine Larve?» «Wasse Larvi? I nitte verstande», kam zur Antwort. Veto, nun völlig am Ende, riss sich zusammen und erklärte mit Händen und Füssen dem Italiener, was er denn suche. Der verschwand – und kam tatsächlich mit der Larve zurück. Vetos Erleichterung dauerte aber nur kurz, denn es folgte der Satz: «I nit derfe ussegebbe. Wie Du bewyyse, dass dini Mäskeli?»
Nun schon den Tränen nahe, kam Veto die rettende Idee. Per Handy wurde ein Taxi bestellt, der verblüffte Italiener mitsamt Larve und Besitzer selbst darin verfrachtet – und so ging s zum Abfahrtsort der «Stallsplitter». Dort angekommen war der treue Depotwächter schnell überzeugt, dass Veto der rechtmässige Besitzer war, trug er doch dasselbe «Goschtym» wie die anderen – und die hatten eben alle eine solche Larve. Mit einem enormen Strauss Mimösli und dem Satz «Isch e tolli Wage. So i au emolle wölle Fasnacht mache!» verabschiedete sich der Italiener.
Der Cortège konnte beginnen, und für Veto war die Fasnacht gerettet. Übrigens: Undankbar war er nicht: Am Bummel hatten die «Stallsplitter» einen italienischen Ehrengast. Und nicht nur das: An der darauffolgenden Fasnacht hatte der Wagen einen zusätzlichen Mitmachenden. Allerdings musste sich der beim Intrigieren stark zurückhalten, «Baseldytsch» hatte er nämlich immer noch nicht gelernt.